VISIT LINZ
27.04.2020

Der Himmel über Linz

Mehr als 100 Jahre ist es her, dass die Schriftstellerin Marlen Haushofer in Oberösterreich geboren ist. Noch vor ihrer Karriere ging sie in Linz zur Schule. Ein Beitrag über das Erleben über die Literatur.

Im April 1920, vor genau 100 Jahren, wurde die Schriftstellerin Marlen Haushofer zwar nicht in Linz, aber im oberösterreichischen Frauenstein geboren. Doch bereits mit zehn Jahren wurde sie in die Linzer Klosterschule der Ursulinen gegeben, wo sie bis zur Schließung der Schule durch die Nazis bis 1938 blieb, um anschließend bei den Kreuzschwestern in Linz ein Jahr später zu maturieren.

Sie verbrachte also neun Jahre in der Stadt. Stimmt das? Sagen wir: Sie verbrachte diese Jahren in einem abgeschlossenen Stück Linz. Möglicherweise sah sie nur ein Stück von dem Himmel, der sich über Linz spannt. Und die Stadt existierte größtenteils in ihrer Vorstellung; so jedenfalls stelle ich mir das vor. Innerhalb der Stadt, aber ausgeschlossen von ihr.

Eingeschlossen ausgeschlossen.

Wie bei zwei anderen oberösterreichischen Schriftstellern, Franz Rieger und Richard Billinger, die ebenso nicht in Linz geboren sind, aber ihre Schulzeit hier im Internat verbrachten, steht die Stadt in diesem Fall somit in erster Linie als Projektionsraum zur Verfügung, als Sehnsuchtsort. Die Zeit im Kloster beschreibt Haushofer unter anderem rückblickend in Eine Handvoll Leben.

Ich schreibe diesen Beitrag (noch nicht im Rückblick) während des Shut downs, in dem die meisten von uns sich ebenfalls größtenteils hinaus-imaginieren, aber ansonsten hinaus-schauen. Auch hier in Linz schaue ich von drinnen auf den Himmel von Linz, aber zumindest bin ich keinen repressiven Indoktrinationen unterworfen, sondern frei, zu tun, was ich will, ohne kontrolliert oder zensiert zu werden. Die Anpassungsleistung kostete Haushofer Kraft, und gleichzeitig legte sie womöglich den Grundstein, eben diese Vorstellung zu trainieren, um später schriftstellerisch tätig werden zu können. Was nämlich ist das Schreiben anderes als ein Reisen im Kopf?

Was ist das Lesen anderes?

Derzeit reisen auch wir ausschließlich in unseren Köpfen. Und wie geht dieses Reisen am allerbesten? - Richtig! Mit Hilfe der Literatur.

Zum Beispiel mit Marlen Haushofer.

Nutzen wir die Zeit, die nächste Reise anzureichern mit Figuren, die sich für uns bereits dort bewegen, wo wir hinfahren werden. Zum Beispiel mit Elisabeth aus Eine Handvoll Leben. Streifen wir bis dahin lesend durch die Straßen von Linz und lassen das eigene Erleben bereichern durch das Erleben anderer.

Denn das kann sie, die Literatur.

Und dann begleitet Elisabeth unseren nächsten Linz-Besuch (oder Linz-Spaziergang), der mit einem Besuch der Ursulinenkirche an der Linzer Landstraße startet, die zwischen 1736 und 1772 errichtet wurde. Und statt an den Architekten Johann Haslinger, nach dessen Plänen sie erbaut wurde, oder an den Erzengel Michael, der sie geweiht ist, erinnern wir uns bei der Besichtigung an Elisabeths Empfindungen, die der Kirche eine Handvoll Leben einhaucht, indem wir uns vorstellen, wie sie hinter den Mauern mit ihrem Heimweh kämpft und um eine (wenngleich nur oberflächlichen) Anpassung an die Gegebenheiten ringt. Uns Haushofer vorstellen, wie sie der Sehnsucht nach dem Draußen Ausdruck verleiht:

Sie wünschte sich, allein in einer klirrend kalten Winternacht durch einen verschneiten Fichtenwald zu gehen, auf einer sonnendurchglühten Almwiese zu liegen, mit dem Duft des wilden Thymians in er Nase, oder ein Ruderboot mit raschen Schlägen über einen See zu treiben und die Kühle der sprühenden Tropfen auf den Wangen zu spüren.

Und weiter gibt sich die Hauptfigur ihren Vorstellungen hin, sogar der Gedanke an ein kahles Hotel erscheint verlockend. Betreten auch wir ein Hotel (es darf ruhig komfortabler sein), und später laufen wir die Landstraße entlang und essen ein Eis, und dann gehen wir weiter, vielleicht hinunter zur Donau. Legen wir uns auf die Wiese, die sich zwar nicht auf der Alm befindet, sondern am Fluss, aber den Blick in den Himmel ermöglicht, der sich hier nicht im Quadrat präsentiert, sondern in all seiner Unendlichkeit vor uns ausbreitet - weder begrenzt durch die Kadrierung eines Computers noch durch die eines Fensterrahmens im Kloster.

Jede Zeit geht vorüber, auch die Klosterzeit von Marlen Haushofer. Das Kloster ist inzwischen ein lebendiges Landeskulturzentrum, wo sich alles um die Bildende Kunst dreht, um Konzerte, Theater, Lesungen (von Haushofer?). Ein Gebäude mit Geschichte und Geschichten. Denn alles, was irgendwann geschieht, findet irgendwo seinen Niederschlag.

Es müssen ja nicht gleich Romane sein.

Und übrigens: Die Stadt beheimatet gegenwärtig zahlreiche SchriftstellerInnen, die in ihren Texten Linz thematisieren und dem Erleben somit möglicherweise ein zusätzliches Erleben hinzufügen können, wollen, dürfen.

Zeit für Erkundungen.

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