Vorbemerkung: Corona-bedingt fand das Interview mit Hans Bürger als Videogespräch von Home-Office zu Home-Office statt, von wo aus der ORF-Anchor in Jogginghose, Ostbahn-Kurti-T-Shirt („Seids vuasichtig“) und dem gut ins Bild gerückten Blau-Weiß-Linz-Wimpel die Geschicke der „Zeit im Bild“ lenkt. Das Gespräch fand wenige Tage vor dem Ableben eines der wichtigsten Mentoren Hans Bürgers statt, des langjährigen ORF-OÖ-Intendanten und Ars-Electronica-Miterfinders Dr. Hannes Leopoldseder.
Herr Bürger, Sie haben Linz in den 1970ern und 1980ern als Jugendlicher erlebt. Was waren Ihre verrücktesten „minutes of fame“ in der Stahlstadt?
Das war sicherlich die Gründung einer Band inmitten der damals aufblühenden Linzer Rockszene, in der Gruppen wie Willi Warma oder die Austria Knochenschau zu überregionaler Berühmtheit gelangten. Keine Ahnung, woher meine drei Freunde und ich damals das Selbstbewusstsein für unsere Auftritte nahmen, die wir selten nüchtern bestritten. An unseren musikalischen Fähigkeiten lag es sicher nicht. Ich werkte damals an der Bontempi-Orgel, später an der Rhythmusgitarre. Wir spielten Covers berühmter Songs, z. B. „Heroes“ von David Bowie oder Beatles-Nummern. Mein Vater, eher ein Freund authentischer Volksmusik, aber auch Beatles-Kenner meinte nach einem Konzert einmal: „Bua, schaumt’s eich net? Wenn ihr schon Beatles spielt‘s, singt‘s wenigstens richtig!“ Die Band hieß „HECTIC“. Tiefpunkt ihrer kurzen Geschichte war ein Konzert im legendären Café Landgraf, bei dem sich das Publikum derart fremdschämte, dass wir nicht einmal ausgepfiffen wurden.
Was hat den heranwachsenden Hans sonst noch geprägt?
Politisch sicher die Koexistenz von Rot und Schwarz – in meinem Elternhaus sowie im täglichen Leben. Beide Eltern waren in der VÖEST beschäftigt, ich bin als Kind öfter mit ihnen ins Büro am damals offenen Werksgelände gefahren. Mein Insiderwissen hat mir dann zu Beginn meiner journalistischen Karriere genutzt, als ich den Niedergang der Verstaatlichten beschrieb. Gleichzeitig prägte mich auch die Zeit in der Katholischen Jugend Traun. Wenn man so will, vereinte sich in meiner Person das damals eher linkskatholisch geprägte bürgerliche und das gewerkschaftlich geprägte sozialdemokratische Milieu. Für das Oberösterreich der Siebziger- und Achtzigerjahre nicht untypisch.
Wie kamen Sie zum Journalismus?
Ich studierte 1985 noch Volkswirtschaft an der Kepler-Uni und arbeitete im Nebenjob als Bote bei der Kronen Zeitung OÖ. Der Leiter des Wirtschaftsressorts schickte mich eines Tages zu einer Pressekonferenz, über die ich dann eine Zwölfzeiler verfasste. Darauf der Ressortleiter: „Wollen’s net bleiben?“ So wurde ich innerhalb einer Stunde zum Journalisten und freien Mitarbeiter der Krone. 1987 nahm ich auf Zureden meiner Mutter an einem Talente-Wettbewerb des ORF teil. In Oberösterreich haben sie genau zwei von 350 Bewerbern genommen, einer davon war ich, weil jemand mit Wirtschaftskompetenz gesucht war. Ich blieb sechs Jahre beim ORF OÖ, ehe ich 1993 zur „Zeit im Bild“ nach Wien wechselte.
Wie kann man sich die Linzer Medienszene Ende der Achtziger-Jahre vorstellen?
Dazu eine Anekdote: Früher war es in Linz üblich, die Journalisten nach einer Pressekonferenz zum Mittagessen im Ursulinenhof einzuladen. Da kam einmal im Gespräch die Idee auf, „und was, wenn wir’s erst morgen schreiben?“. Alle waren einverstanden, wir blieben bis zum Abend sitzen und schrieben die Geschichte einen Tag später. Das war zwar auch damals eine Ausnahme, ist aber heute vollkommen undenkbar.
Ist Ihnen der Wechsel nach Wien leichtgefallen?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin sehr heimatverbunden und würde mich fast als Radikaloberösterreicher bezeichnen. Ich ließ für die ZiB viel zu zurück, das wirklich Heimat für mich war: meinen Freundeskreis oder den Stammtisch beim Kirchenwirt in St. Martin an der Traun. In der journalistischen Blase der Bundeshauptstadt ist das Parkett glatt, das Eingeordnet-Werden in Kastln passiert sehr schnell. Sagst du in Wien „Grüß Gott“, giltst du als Schwarzer, während in Linz auch ein Roter „Grüß Gott“ sagt. Aus dem vertrauensseligen ist ein vorsichtiger und skeptischer Hans Bürger geworden.
Was vermissen Sie in Wien an Linz?
Ich wollte ja immer Spitzensportler werden, durfte aber wegen einer Herzoperation in der Kindheit keinen Leistungssport betreiben. Trotzdem war mir Sport immer wichtig. Im Winter ist man von Linz oder Traun in 50 Minuten in Hinterstoder oder am Hochficht. Im Sommer sind der Pichlinger See sowie Traunsee und Attersee rasch erreicht. Ich brauch die Berge und die Seen, aber nicht den Semmering und den Neusiedler See. Wenn ich in Linz bin, laufe ich noch immer gerne meine alte Laufstrecke: vom Pleschinger See raus Richtung Uni, weiter zum Pferdeeisenbahnweg und wieder zurück. Das sind 9,5 Kilometer. Als ich bereits in Wien war, fuhr ich jeden Dienstag und/oder Donnerstag nach Linz für dieses Lauferlebnis und für das Konditionstraining auf der Uni Linz. Unser Trainer hatte einen unaussprechlichen polnischen Namen und wurde von allen „Kolo Zickzack“ genannt.
Haben Sie die Transformation von der Stahlstadt zur Kulturstadt mitbekommen?
Ja, aus nächster Nähe. Das lag an Hannes Leopoldseder, der als Kulturfanatiker hier eine große treibende Kraft war. Ich kann mich noch an die erste Verleihung der Goldenen Nica erinnern. Schon damals waren Leute aus New York und anderswo vor Ort, da galt noch der Spruch „In Linz, da stinkt’s“. International hat Linz mittlerweile einen tollen Ruf, innerhalb Österreichs scheint der Imagewandel aber noch nicht bei allen angekommen zu sein.
Angenommen, Sie wären einen Tag lang Linzer Bürgermeister und könnten Dinge ohne Einspruch auf den Weg bringen. Welche Maßnahmen würden Sie setzen?
Einiges passiert schon. Linz bekommt zwei tolle neue Stadien. Als Linzer Bürgermeister würde ich mir Hannes Leopoldseder zum Vorbild nehmen. So wie er die Kulturstadt Linz zum Blühen gebracht hat, würde ich mich für eine Sportstadt Linz einsetzen. Das gilt auch für den Breitensport und die notwendige Infrastruktur, zum Beispiel kostenlose Duschmöglichkeiten an gut frequentierten Laufstrecken. Und dann würde ich außerdem alles daransetzen, mehr universitäres Geschehen ins Stadtzentrum zu bringen. Ich habe nie verstanden, warum die Kepler-Uni so weit draußen steht. Während meiner Studienzeit hat dort kaum studentisches Leben stattgefunden. Immerhin kann man in Linz jetzt auch Medizin studieren, sogar zentrumsnah. Wer weiß, wie mein Lebensweg verlaufen wäre, hätte sich diese Gelegenheit schon zu meiner Zeit ergeben. Ich wollte ja gerne Medizin studieren und Kinderarzt werden – aber nie weg von Linz. Die Alternative war dann Volkswirtschaftslehre.
Aus welchen Gründen kommen Sie heute zurück nach Linz?
Zum einen besuche ich regelmäßig meine getrennt lebenden Eltern, ab und zu auch noch die Freunde. Und es gibt fixe Veranstaltungen, an denen ich Jahr für Jahr teilnehme. Seit 1985 bin ich Mitglied des oberösterreichischen Fußball-Presseteams und war als Rechtsaußen früher der schnellste. Heute zwingt mich das nachlassende Grundtempo zurück in die Verteidigung, was mich nicht so freut. Außerdem bin ich seit 1. Juli 2020 Kuratoriumsmitglied bei Blau-Weiß-Linz und agiere als deren Außenminister in Wien. Dort erkläre ich den Leuten, dass es neben den Unaussprechlichen (Anm.: Bürger meint den ) einen weiteren respektablen Fußballklub in Linz gibt.
Hans Bürger
Der Journalist Hans Bürger (geb. 1962) ist Ressortleiter „Inland/EU“ der ORF „Zeit im Bild“ und Gastgeber der TV-„Pressestunde“. Der gebürtige Linzer wuchs in Traun auf und studierte an der Johannes-Kepler-Universität Volkswirtschaftslehre. Seine journalistische Laufbahn begann er 1985 als Wirtschaftsjournalist bei der Kronen Zeitung OÖ, ehe er 1987 zum ORF OÖ, 1993 ins ORF-Zentrum nach Wien wechselte. Hans Bürger ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Aktuelle Buchpublikation:
„Selbstverständlich ist nichts mehr: Sinnfindung in Zeiten von Arbeitsverknappung, künstlicher Intelligenz und Pandemien“, Braumüller, Wien 2020.
Ein Blogbeitrag von jungs kommunikation
Titelbild: ©ORF
Kommentare (2)
Bettina
am 19.03.2021Visit Linz Blog
am 22.03.2021