Du bist seit fast 20 Jahren bei der Berlinale. War für dich schon früh klar, dass du etwas mit Film machen möchtest?
Meine berufliche Biografie beginnt etwas ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wo ich schlussendlich gelandet bin: Ich habe nach der Schule eine Ausbildung am Oberlandesgericht in Linz gemacht und dort ein paar Jahre gearbeitet. Dann folgte der Zivildienst in einem Altenheim in Leonding. Das Jahr hat viel zu meinem Erwachsenwerden beigetragen: Physisch und mental war es eine harte Schule, aber hat mir auch sehr viel mitgegeben für das weitere Leben. Nach dem Zivildienst, das war Anfang 2000, bin ich nach Linz in eine WG gemeinsam mit Freunden gezogen. Dann folgten ein paar Jobs, zum Beispiel an der Uni-Bibliothek in Linz. Damals wusste ich noch nicht so wirklich, was ich machen will. Durch Freunde, die in Linz studiert haben, kam schließlich das Interesse und der Drang, doch noch zu studieren.
Die Entscheidung fiel auf Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien.
Dass es dieses Studium sein muss, war ganz klar. Seit meiner Jugend war der Film ein wichtiges Fenster in die Welt, das raus führte aus der geliebten, aber auch verhassten Provinz. Das begann schon in Gallneukirchen mit der Videothek. Da schaute ich oft ein bis zwei Filme pro Tag. In Linz konnte ich mir die tollen Klassiker aus der Landesbibliothek holen. Während meiner Zeit am Oberlandesgericht hatte ich ein festes Ritual: Jeden Freitag hörte ich früher auf und ging allein ins Kino, ins Central Kino, City Kino oder Moviemento. Das war meine Zeit für mich. Für eineinhalb, zwei Stunden tauchte ich ab in eine alternative Realität. Am Thewi-Insititut in Wien zu landen war also eine logische Folge. Dort wurde mir schnell klar, dass ich etwas mit Filmfestivals, mit der Vermittlung von Film und Kinokultur machen möchte.
Wie blickst du heute auf deine Zeit in Linz zurück? Du warst damals Anfang 20.
Meine Jahre in Linz waren stark davon geprägt, mich zu orientieren, mich selbst zu finden. Das war nicht immer einfach. Ich war ein offen schwul lebender Mann, habe mich im jungen Erwachsenenalter geoutet. Die Zeit in Linz war von Unsicherheiten geprägt und auch durch die Enge, die Linz in dem Bezug hatte. Es gab zwar ein paar queere Lokale. Aber ich habe mich mit meinem anderen Freundeskreis, wo es nicht in die schwule Szene, sondern die Kunstuni-Szene ging, wohler gefühlt. Das war für mich wie eine größere Ersatzfamilie. Insofern war Linz für mich sehr prägend – durch die Menschen, die mich mit geformt haben, aber auch durch Stationen, die mit einigen Orten in Linz stark verknüpft sind.
Welche Orte waren das?
Das Strom und die Stadtwerkstatt waren wichtige Orte für mich. Unsere WG war gleich ums Eck an der Friedrichstraße in Urfahr. Das ist immer noch ein Ort, der schöne Erinnerungen weckt. Das gelbe Krokodil war für unsere WG ein zweites Wohnzimmer, vor allem als das Strom renoviert wurde. Wir haben uns diese Mikrokosmen in der Stadt miteinander erobert. Es ist schön, dass es solche „Inseln“ in Linz gab und immer noch gibt. Und dass sie bleiben, auch wenn sich die Stadt rasant verändert.
Du bist in Gallneukirchen aufgewachsen – hast du Kindheitserinnerungen an die „große“ Stadt Linz?
Ja, eine ganz besonders starke Erinnerung ist die: Die Gartengestaltungsfirma meiner Eltern machte die Dachgartenanlage im ‚Lentia‘. Ich war im Alter von vier oder fünf Jahren mit von der Partie und hatte dort wochenlang einen Riesen-Spielplatz. Ich weiß noch, dass ich fasziniert war von diesem Bau und wie utopisch ich es fand, in so einer Anlage zu leben.
Für dich ging der Weg nach Berlin und dort zur Berlinale, nur wenige Jahre nachdem auch Linz „sein“ Filmfestival bekam. Welche Verbindungen hast du zu Crossing Europe?
Ich war schon 2004 bei der ersten Edition. Christine Dollhofer, die langjährige Leiterin des Festivals, hielt damals an der Thewi eine Vorlesung über europäische Filmfestivalkultur, die ich besucht habe. Mittlerweile ist Christine eine sehr gute Freundin und Wegbegleiterin. Beim Crossing Europe war ich fast jedes Jahr, mitunter auch moderierend oder als Jury-Mitglied.
Das Konzept von Crossing Europe finde ich nach wie vor großartig und es geht in Linz perfekt auf. Es bringt viele junge Leute ins Kino, stellt den europäischen Blick in den Vordergrund, zeigt großartige Retrospektiven. Es gibt stets viel Neues zu entdecken. Alle Filmschaffenden, die nach Linz kommen sind begeistert von der Gastfreundschaft des Festivals, von den tollen Kinosälen oder der Schifffahrt, zu der Crossing Europe einlädt. Die Stimmung ist sehr familiär: Journalist*innen, Filmschaffende, Festivalmacher*innen kommen hier in einer unglaublichen Unmittelbarkeit zusammen. Diese Nähe und die Inhalte machen das Flair und die Qualität von Crossing Europe aus. Deshalb funktioniert es auch seit 20 Jahren.
Wenn du mit Berliner Freundinnen und Freunden in der Stadt bist, was zeigst du ihnen?
Das kommt ein bisschen auf die Jahreszeit an. Ich zeige gerne Alt-Urfahr her, weil ich das immer schon wahnsinnig toll fand und eine persönliche Affinität dazu habe. Die Szenerie Lentos-Brucknerhaus ist beeindruckend, architektonisch sind beide Häuser großartig und wir hingen damals auch selbst viel auf der Lände ab. Man zeigt natürlich gerne Orte, die einen geprägt haben: Das Gelbe Krokodil, die Altstadt, oder man geht mal ins Lentos oder ins Kino. Bei Crossing Europe ist es hin und wieder passiert, dass wir spätnachts nach der Festivalparty noch in die Stadt ausgeströmt sind, weil ich dann doch noch ein paar Sachen von früher kannte: Dann gings zum „Warmen Hans“ um vier in der Früh, oder ins Salonschiff Fräulein Florentine, oder davor in den Rothen Krebs.
Dein Lieblingskino in Linz?
Das Moviemento, ganz klar.
Aus der Berliner Ferne betrachtet: Was sind die markantesten Veränderungen in Linz aus deiner Sicht?
Tatsächlich das Stadtbild. An baulichen Maßnahmen und Erweiterungen hat sich viel getan, nicht immer nur zum Guten. Aber es werden auch aus kultureller Sicht viele neue Anreize geschaffen. Heute ist es für eine jüngere Generation attraktiver geworden in der Stadt zu bleiben. Es gibt mehr Studienangebote als früher, auch abseits der JKU, wo aber ebenfalls viel passiert ist. Auch die queere Community ist heute sichtbarer und aktiver, es gibt mehr Diversität in der Stadt. Das finde ich sehr gut.
Was ist für dich typisch Linz?
Typisch Linz ist, dazu zu stehen,dass eine gewisse Provinzialität gut ist. Linz kann damit selbstbewusst umgehen und gleichzeitig ist die Stadt innovativ und fortschrittlich. Das muss sich nicht ausschließen.
Michael Stütz wurde 1977 in Linz geboren und studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und der Freien Universität Berlin. Parallel arbeitete er für Filmproduktionen im Studio Babelsberg. Seit 2006 ist er bei der Berlinale tätig – zunächst u. a. in der Programmkoordination und der Koordination des TEDDY Awards, dem queeren Filmpreis der Berlinale. Seit Juni 2019 leitet er die Sektion Panorama der Berlinale. Er ist bei zahlreichen anderen Festivals als Gastredner, Kurator oder Jurymitglied aktiv.
Ein Gastbeitrag von "jungskommunikation".
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