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Portrait Georg Schmiedleitner.
20.03.2024

Missing Linz 34: Zwischen Größenwahn und Demut vor der Theaterkunst

Georg Schmiedleitner ist derzeit als Regisseur an Theater- und Opernhäuserhäusern wie Semperoper Dresden, Staatstheater Mainz, Stadttheater Klagenfurt oder Musiktheater Linz aktiv. Seit sieben Jahren lebt er in Nürnberg. Linz kennt ihn als Mitbegründer des Phönix Theaters und als prägenden Gestalter der lokalen Theaterszene in den 1990er Jahren. Der Aufstieg des Phönix verlief dabei sehr turbulent.

Herr Schmiedleitner, Sie sind in Linz aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich bin ein waschechter Linzer, hier geboren, zur Schule gegangen und habe meine berufliche Laufbahn gestartet. In meiner Kindheit war Linz noch eine raue Industriestadt mit nebligen Tagen und schmutziger Luft. Meine Mutter hat sich oft über die rußigen Fensterbretter geärgert. Heute hat sich das komplett gewandelt – Linz ist zu einer sauberen, lebendigen Kulturstadt geworden. Das Besondere für mich war schon immer die Nähe zu Seen und Bergen in der Umgebung, ein Pluspunkt im Vergleich zu anderen großen Städten.

Ich bin im „Spitalsviertel“ in der Linzer Innenstadt aufgewachsen, in einer bürgerlichen Familie, und habe die Khevenhüller Schule besucht. Die Mozartkreuzung war unser Treffpunkt für Streifzüge durch die Stadt. Ich erinnere mich an die vielen Geschäfte, wie den Feinkostladen, in dem die Besitzerin jede Pastete vor dem Verkauf probierte. Namen wie Schuhhaus Eiler, Moden Landa oder Sport Eybl klingen heute noch in meinem Kopf. Und natürlich bleiben das Café Arabia und der Kaspar Keller in lebendiger Erinnerung. Etwas später war bei uns das E-Schmid in der Goethestraße Kult. Als Nachkriegskind erlebte ich den aufkommenden Wohlstand in den 1970er Jahren – plötzlich gab es italienische Wochen im damals neuen „Passagekaufhaus Linz“, eine Sensation!

Sie sind nach der Matura nicht geblieben. Warum sind Sie weitergezogen?

Alle sind weggegangen. Die meisten nach Wien – so auch ich. Ich habe dort Germanistik und Geschichte auf Lehramt studiert. Und vielleicht ein, zwei Kurse in Theaterwissenschaften. Doch ehrlich gesagt hatte Wien zu dieser Zeit nicht viel zu bieten, ganz anders als heute. Parks, die man nicht betreten durfte, alte Leute, Wind, graue Tristesse und nichts los. Im Vergleich dazu tat sich Anfang der 1980er Jahre sehr viel in Linz. Die Kulturszene blühte auf: Stadtwerkstatt, Kapu, „Das andere Kino“, Punk, viel neue Musik. Es schien, als ob in Wien alle fest in ihren Sesseln saßen. Linz war spannend, und viele sind deshalb wieder zurückgekommen.

Zur Überbrückung – ich wusste noch nicht, wo ich hinwollte – begann ich im Bischöflichen Gymnasium, einer katholischen Privatschule, zu unterrichten. Überraschenderweise hatte ich dort große Freiheiten und konnte sogar Theater mit den Schülerinnen und Schülern machen.

Georg Schmiedleitner bei Theaterproben.
Georg Schmiedleitner bei einer Theaterprobe in der Spielstatt Junge Bühne.

Woher kam das Interesse am Theater?

Meine Mutter hatte einen Hang zum modernen Theater und hat mich immer mitgeschleppt. Der fiktive Zauber auf der Bühne hat mich fasziniert. Aber erst nach meinem Studium ging mir aufgrund von Theater-Workshops und Freunden der Knopf auf. Theater – das war, was ich wollte. Damals war ich rund 30 Jahre alt und kündigte meinen Job, um Theater zu machen. Zu dem Zeitpunkt hatten Freunde und ich das Theater „Spielstatt Junge Bühne“ außerhalb von Linz bereits gegründet. Wir galten als coole Truppe. Als das ehemalige Phönix Kino ein Supermarkt werden sollte, beschlossen wir zu sechst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Gebäude zu kaufen. Um sieben Millionen Schilling! Mit dem Objekt in der Tasche haben wir die Politik mehr oder weniger genötigt, uns zu subventionieren. Das hat großes mediales Echo und politischen Widerstand ausgelöst. Wir haben großartige Streitgespräche geführt. Es war ein kulturpolitscher Kampf, der auch bei Diskussionsabenden im Phönix ausgetragen wurde und bis in die höchsten Polit-Reihen nach Wien hallte. 

Als Gruppe haben wir fest zusammengehalten, unseren Willen durchgesetzt, und das Theater Phönix wurde 1989 gegründet. Im Jahr des Falls der Berliner Mauer. Und es besteht – wie man sieht – noch heute.

Theater Phönix in Linz.

Wie waren die ersten Jahre im Theater Phönix?

Im Theater Phönix herrschte eine Mischung aus Ahnungslosigkeit, Hochstapelei und Enthusiasmus. Wir waren größenwahnsinnig, dabei aber demütig vor der Kunst des Theaters. Unser Ziel war es, berühmt zu werden. Wenn ich an die Schulden denke, bekomme ich heute noch Schweißausbrüche. Schließlich mussten wir das Haus auch noch sanieren.

Selbst die Landestheater-Schauspieler schauten neidisch bei uns herein. Wir galten als Avantgarde. Man sagte, wir seien eine verruchte Truppe, in die niemand reinkommt. Zahlreiche Schulen besuchten uns, und viele junge Menschen fanden durch uns Gefallen am Theater. Produktionen wie „Die Räuber“ von Friedrich Schiller bleiben unvergesslich. Es war eine Art modernes Rave-Märchen mit einem verrückten Bühnenbild und lauter Musik, bei dem das Publikum durch die Bühne gejagt wurde.

Nach acht Jahren haben Sie die Gruppe verlassen. Warum?

Ich war auf der Suche nach meiner eigenen Identität, nach einer klaren Rolle im Theater. Ich wusste nicht, bin ich Dramaturg, Regisseur oder Schauspieler. Die Veränderung fokussierte sich schließlich auf meine Rolle als Regisseur, und ich zog weiter von verschiedenen Theaterhäusern in Österreich nach Deutschland. Seit 2017 lebe ich in Nürnberg.

Georg Schmiedleitner als Regisseur in der "Spielstatt Junge Bühne" 1986.
Georg Schmiedleitner bei Dreharbeiten.
Georg Schmiedleitner mit Autor Franobel.

Wenn Sie heute nach Linz kommen, was tun Sie dann gerne?

Egal, ob während Engagements im Landestheater oder einfach so – ich genieße Stadtspaziergänge und Besuche im Café Traxlmayr, wo ich oft auf alte Bekannte treffe. Die Linzer Kaffeehauskultur ist zwar nicht so ausgeprägt wie in Wien, aber dennoch toll. Außerdem besuche ich gerne das Gelbe Krokodil. Das Lokal wurde von einem Bühnenbildner gestaltet, mit dem ich zusammenarbeite – noch immer großartig. 
Darüber hinaus verbringe ich gerne Zeit mit meiner Frau an der Donau oder wir gehen einkaufen. Meine Frau, eine Nürnbergerin, ist begeistert von der Freundlichkeit der Linzer und wenn wir Zeit haben, frühstücken wir beim Bäcker Brandl. Einzigartig! Und als Mehlspeisenfan muss eine Esterhazy-Schnitte vom Jindrak unbedingt sein!

Was an Linz vermissen Sie?

Ein großer Teil meiner Familie lebt in Linz. Ich vermisse zum Beispiel die Ausflüge mit meinen Enkeln zur Grottenbahn am Linzer Pöstlingberg oder in den Botanischen Garten. Außerdem sehne ich mich nach der abwechslungsreichen Landschaft Österreichs, die eine Vielfalt von beeindruckenden Naturkulissen bietet. Und die österreichische Küche fehlt mir auch wirklich!

Was hat Ihrer Meinung nach Strahlkraft?

Meine Freunde aus Deutschland bewundern vor allem die Vielfalt an Kulturangeboten. Das Nebeneinander von Lentos, Ars Electronica, Schossmuseum, etc. ist für eine Stadt in der Größe von Linz einfach spektakulär, besonders in Kombination mit der Donau, die mitten durch die Stadt fließt.

Außerdem finde ich die voestalpine beeindruckend. Jeder sollte eine Führung am Werksgelände machen und einen „Abstich" beobachten, also wenn flüssiger Stahl wie Lava aus dem Hochofen strömt. Ein Höllenspektakel und ein außergewöhnliches Erlebnis!

Was ist für Sie typisch Linz?

Typisch für Linz ist die Ehrfurcht vor Wien, ein gewisser Komplex, von dem ich denke, dass es Zeit ist, ihn loszulassen.

Außerdem schätze ich die Menschen in Linz. Sie haben eine besondere Ausstrahlung. Man sieht, wenn man durch die Straßen geht, dass sie positiv gestimmt sind.

Portrait Georg Schmiedleitner.

Georg Schmiedleitner, geboren 1957, ist Regisseur und Theaterleiter. Nach Abschluss des Khevenhüller Gymnasium in Linz, studierte Schmiedleitner Germanistik sowie Geschichte in Wien. Anschließend kehrte er nach Linz zurück und wurde Lehrer am Bischöflichen Gymnasium. Seine Leidenschaft für das Theater wuchs heran: Von 1983 bis 1989 war er künstlerischer Leiter der Klein- und Experimentalbühne „Spielstatt Junge Bühne“. Gemeinsam mit fünf weiteren Personen kaufte er das ehemalige Phönix-Kino. In einem verschworenen Team wurde es 1989 als Theater Phönix eröffnet – mittlerweile eine der wichtigsten freien Mittelbühnen Österreichs. Seit 1996 arbeitet der Nestroy-Preisträger u.a. als freier Regisseur in Österreich und Deutschland. Schmiedleitner lebt seit 2017 in Nürnberg.

Ein Gastbeitrag von "jungskommunikation".

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Kommentare (1)

  • Waltraud Walchshofer
    Waltraud Walchshofer
    am 26.03.2024
    Bis zum heutigen Tag bin ich Stammgast im Theater PHÖNIX. In der SPIELSTATT JUNGE BÜHNE, die ich als Embryo des Phönix nenne, lernte ich die jungen wilden Hunde als Theatermacher kennen.
    Deshalb schlägt mein Herz noch immer fürs PHÖNIX.

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