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Portraitfoto von Tarek Leitner.
02.08.2023

Missing Linz 27: Tarek Leitner und die glücklichen Orte

Fast täglich gastiert Tarek Leitner in den heimischen Wohnzimmern. Zudem hat sich der ZiB-Anchorman und ORF-Moderator als Autor einen Namen gemacht. Er schreibt über unseren Umgang mit Landschaft oder erzählt als Stadt- und Grätzel-Chronist exemplarische Geschichten aus der Linzer Innenstadt oder dem siebten Wiener Gemeindebezirk. Wir sprachen mit Tarek Leitner über das Aufwachsen in seiner Geburtsstadt, über „seine“ Bischofstraße und Linz als Ausgangspunkt guter Geschichten.

In Ihrer Biografie spielt Linz eine zentrale Rolle. Wie haben Sie die Stadt in ihrer Schul- und Ausbildungszeit und später als junger Journalist erlebt?

Linz war für mich Startrampe. Ich absolvierte hier meine gesamte schulische und universitäre Ausbildung und durfte im ORF-Landesstudio meine ersten Schritte in den Journalismus gehen. Linz bot in seiner Kleinheit alles „in a nutshell“, hatte aber gleichzeitig die richtige Größe, um über das Kommunale hinaus zu strahlen. Die Stadt war nicht provinziell, sondern hielt genau die richtige Mischung bereit für einen Heranwachsenden, der sehen will, was das Leben zu bieten hat und bieten kann.

Ihr zweites Buch trägt den Titel „Wo leben wir denn? Glückliche Orte. Und warum wir sie erschaffen sollten.“ Gibt es glückliche Orte, die Sie mit Linz verbinden?

Dazu gehört sicherlich das Aloisianum am Freinberg. Ich ging dort ins Gymnasium samt Halbinternat, weil meine Mutter als Alleinerzieherin in Vollzeit arbeitete. Schule war für mich nicht nur das Lernen in einer konkreten Unterrichtsstunde, sondern auch die beglückend schöne Lage des Aloisianums: auf einem Hügel mit wunderbarem Blick in beide Richtungen, nach Linz hinunter und ins Alpenvorland hinein bis zum Traunstein. Von dort aus fotografierte ich viel, Zum Beispiel wunderbare Bilder vom Nebelmeer über Linz mit herausragender Domspitze. Definitiv ein glücklicher Ort.

Ich war auch bei den Pfadfindern, in der Gruppe Linz 2 in der Ludlgasse, gleich hinter der Tabakfabrik. Die Gruppe hatte auf dem nicht bebauten Gelände der ehemaligen Frauenklinik ein riesiges Areal. Eine Gstätten, ein „Nowhere-Land“, aber mitten in der Stadt. Für mich als Kind war das ein großer Abenteuerspielplatz, wo wir Lagerfeuer entfachten, in Wald und Gelände spielten. Dort lernte ich auch, wie Debatten funktionieren, wie Mehrheitsbildung entsteht – quasi mein früher Demokratie-Führerschein. Nicht zuletzt durch diesen Ort wurde mir bewusst, welchen Stellenwert die räumliche Umgebung für die eigene Zufriedenheit und die persönliche Entwicklung hat, und wie wichtig solche offenen, nicht durchgestalteten Räume sind.

Wie haben Sie Linz als Heranwachsender erkundet? Wohin ging es abends?

Ich hatte das Glück, mitten in der Stadt zu wohnen. Ich wuchs beim heutigen Francisco Carolinum auf, hatte also kurze Wege überall hin. Viele meiner Mitschüler wohnten außerhalb, hatten riesige Garten mit Swimming Pool, in die unsere Genossenschaftswohnung hineingepasst hätte. Da war ich mitunter etwas neidisch. Als wir aber in das Alter kamen, in dem es ums Fortgehen in der Stadt, um angesagte Lokale usw. ging, genoss ich es sehr, in nur fünf Minuten in jedem Lokal und in jeder Bar sein zu können – und ebenso rasch wieder zuhause. Da hatten es die anderen, die vom Papa abgeholt wurden, schwerer. Ich mochte dieses innerstädtische Leben und tue das auch heute noch. In meinem Buch „Im Siebten“ habe ich versucht, die Voraussetzungen zu benennen: kurze Wege, die fußläufige Erledigung aller Dinge des Alltags, das vertraute Grätzel-Leben. Aus der Sicht eines Heranwachsenden hilft das alles, um ein soziales Umfeld aufzubauen. Unser klassischer Anlaufpunkt in der späteren Schulzeit war die Linzer Altstadt mit ihrer Handvoll Lokale. Hier konnte man ohne vorherige Vereinbarung – im Handyzeitalter undenkbar – hingehen und traf immer jemanden für abendfüllende Gespräche.

ORF-Moderator Tarek Leitner

Ihre ORF-Laufbahn begann in Oberösterreich. Wie kam es dazu?

Es fing im Rahmen eines Ferienjobs beim Radio an, wo ich als Regieassistent Platten auflegte. An sich unbedeutend für die Produktion der Radiosendung, aber für mich war es lebensentscheidend: Ich war fasziniert von den Infosendungen. Davon, dass es Menschen gibt, die die Welt betrachten und einen komplexen Sachverhalt in eigene Worte gefasst wiedergeben. Da habe ich Blut geleckt. 1997, nach Abschluss des Studiums und nach absolviertem Zivildienst, ergab sich schließlich die Möglichkeit, nach Wien zu wechseln. Beruflich eine einfache Entscheidung, weil die Innenpolitik mich am meisten interessierte. Aber ich wollte auch aus privaten Gründen nach Wien und bin gleich ganz hierher übersiedelt. Meine Winterreifen habe ich überstellt und den Zahnarzt gewechselt. Angelegenheiten, die also wirklich eine Zäsur im Leben bedeuten. Wien ist meine Heimatstadt geworden.

Aus welchen Gründen kommen Sie jetzt nach Linz?

Der Hauptgrund ist meine Mutter, die in Linz lebt und die ich von Zeit zu Zeit besuche. Aber es gibt auch Gelegenheiten darüber hinaus. So haben mich etwa Recherchen zu meinem Buch „Berlin–Linz“ vielfach nach Linz geführt. Auch für mein nächstes Buch recherchiere ich viel in Linz, über einen Ledergroßhändler in der Linzer Altstadt, der von den Nazis vertrieben wurde und wieder zurückgekommen ist – eine bemerkenswerte Geschichte. Linz bietet eben für viele Gedanken, Geschichten und Betrachtungen einen guten Ausgangspunkt: sozial, kulturell, baulich und räumlich.

ORF-Moderator Tarek Leitner

Was zeigen Sie Ihren Töchtern, wenn Sie mit ihnen in Linz sind?

Nicht unbedingt zu deren Freude fällt mir zu jedem Gebäude etwas ein. Ich kann über jede Fassade einen kurzen Bogen zu meinem Leben und meiner Vergangenheit schlagen. Besonders in der Bischofstraße. Hier wäre ich ein guter Reiseführer. Man kann so viel erzählen über die Klosterhofmauer und das bischöfliche Palais auf der einen sowie die Häuser auf der anderen Seite. Über das ehemalige Zuckerlgeschäft des Herrn Schwager, über seinen Onkel, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, über die Bischofstraße 3 mit der Familie Eichmann. Hat man genug von diesen Erklärungen und Erzählungen, kann man sich wunderbar in den Altwarengeschäften verlieren, sich in der Kunststopferei meiner Großcousine ein Loch stopfen lassen oder gegenüber im Klosterhof ein Bier trinken – so wie wir es früher an Zeugnistagen ab Mittag getan haben.

Haben Sie Lieblingsplätze in der Stadt?

Ich mag es, wenn eine Stadt Unerwartbares bereithält, wenn sie das Nicht-Durchgeplante zulässt und überraschende Perspektiven bietet. Das ist es, was Stadtleben braucht. Wenn ich als Studierender untertags meinen Kopf frei bekommen wollte, ging ich in die Altstadt und setzte mich zu dem Blumentopf auf dem Platz unterhalb vom Tummelplatz. Von dort blickt man runter zum Rothen Krebs und sieht die Donau vorbeiziehen. In meinen frühen Zwanzigern konnte ich dort sehr lange sitzen und staunen. Das ist so ein idealer Ort urbaner Gestaltung, der organisch, nicht auf einem Reißbrett entstanden ist. Ein wunderbarer Ort, ein wirklich glücklicher Ort.

Lichtbrunnen in der Altstadt mit Blick zur Donau.
Portraitfoto von Tarek Leitner.

Tarek Leitner (1972 geboren in Linz) begann seine journalistische Laufbahn im Aktuellen Dienst des ORF-Landesstudios Oberösterreich. Nach Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften (1997) wechselte er als innenpolitischer Redakteur in die „Zeit im Bild“-Redaktion. Seit 2004 ist er Moderator der ZiB. Leitner ist Autor mehrerer im Brandstätter Verlag publizierter Bücher, u. a. „Mut zur Schönheit – Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs“ (2012), „Wo leben wir denn? Glückliche Orte. Und warum wir sie erschaffen sollten.“ (2015), „Hilde und Gretl – Über den Wert der Dinge“ (2018), „Berlin–Linz: Wie mein Vater sein Glück verbrauchte“ (2020), „Im Siebten: Die Neuerfindung der Stadt in Wien-Neubau“ (2022).

 


Ein Gastbeitrag von "jungskommunikation".

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