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13.06.2019

Zehn Jahre Kepler Salon: Vielstimmigkeit im Lusthaus des Wissens

Der Kepler Salon ist schon lange dort angekommen, wo er bei seiner Gründung hinwollte: bei den Leuten. Die Themen können noch so komplex sein, weniger als 60 sind es selten, die sich dafür interessieren. Und nicht selten wollen mehr als die 100 zuhören, die in den Raum in der Rathausgasse passen.

Der Neid muss alle anderen Veranstalter fressen. Egal, ob es um künstliche Intelligenz oder menschliches Scheitern geht, mindestens eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist das Publikum zum großen Teil schon erschienen, trinkt Rotwein, plaudert oder liest Zeitung. Viele sind Stammgäste, stets gibt es neue Gesichter. Sie kommen sicher nicht, weil der Eintritt frei ist und am Montag sonst in der Stadt nichts los wäre, und auch nicht alleine des Zuhörens wegen, sondern weil das Publikum wesentlicher Teil des Konzepts ist. Die eingeladenen Expertinnen und Experten sprechen maximal eine halbe Stunde über ihr Thema, dann wird eine Stunde lang nachgehakt und diskutiert. Manchmal ganz einig und heiter, immer wieder aber intensiv debattierend.

Das hier ist ein Ort, an dem man verschiedener Meinung sein darf, und das auch so stehen bleiben kann.

Norbert Trawöger, Intendant des Kepler Salon

„Der geglückte Diskurs ist mir ein Herzensanliegen!“, sagt Norbert Trawöger, „das hier ist ein Ort, an dem man verschiedener Meinung sein darf, und das auch so stehen bleiben kann.“ Im Jahr 2013 hat er die Programmleitung von der verdienstvollen Pionierin Iris Mayr übernommen und managt seither souverän neben all seinen anderen Aufgaben und Leidenschaften. Wer Trawöger kennt, hegt manchmal den Verdacht, er teile sich das alles mit mehreren Klonen oder seinen Drillingsbrüdern, denn einer alleine kriegte nie so viel weiter, und wenn doch, dann nicht so gut gelaunt. „Bin ich eh nicht zu gebürstet?“, lacht er, als ich die Kamera auf ihn richte.

Trawöger liebt auch die Atmosphäre des Gebäudes, in dem der berühmte Namensgeber ab 1622 vier Jahre lang lebte. „Man spürt, dass das ein altes Haus ist. Ich mag den Gedanken, dass die Wände imprägniert sind, und dass das Gedächtnis des Hauses wieder auf die Menschen zurückwirkt“, sagt er und zeigt auf die ungeraden Winkel, die Holzbalken und den verbauten Granit. Im alten Rahmen tut sich Neues auf: Seit Jahresbeginn hat die Organisation mit der Johannes Kepler Universität eine neue Trägerin bekommen. Am klassischen Montagsformat werde sich nichts ändern, sagt Trawöger, dafür werde der Raum jetzt noch intensiver genutzt. „Wir haben jetzt sehr stabile Verhältnisse, das ist angenehm.“ Der Kepler Salon ist ein Erbe des Kulturhauptstadtjahres, neben dem Höhenrausch wohl das erfolgreichste und bestimmt das lebendigste. Immer wieder gibt es neue Formate und Exkursionen, das Prinzip ist gleich geblieben: Wissenschaft soll in gastlicher Atmosphäre der Allgemeinheit vermittelt werden und Gespräche bewirken. Ein Journalist nannte den Kepler Salon einst treffend „Lusthaus des Wissens“. Die Themen und Experten decken mittlerweile das ganze Spektrum möglichen und unmöglichen Wissens ab. Im Death Café sprechen Menschen, die jemanden verloren, bei Kaffee und Kuchen miteinander über ihre Erfahrungen. Künstlerinnen erzählen vom Erwerbsleben, Forscherinnen referieren über Poesie und Maschinensprache, Gourmets über die Renaissance des Mosts, Mönche über Buddha, Historiker über das NS-Regime, Soziologinnen über Zombies.

Mit dem Kepler Salon Vergleichbares gibt es weder national noch international, „zumindest nicht in der Qualität und Quantität“. Er ist das bürgerliche Gegenteil des elitären Elfenbeinturms. Den, wie sich zeigt, die Forschenden ohnehin kaum noch bewohnen. Die geladenen Gäste werden von einem Gastgeber-Team begleitet. Ich kann als Naturwissenschafts-Legasthenikerin nach 33 moderierten Veranstaltungen bestätigen, dass man dafür selbst keine Expertin sein muss. Als es etwa einst um „Bioprozesse zur dezentralen Herstellung von Wasserstoff“ ging, übernahmen dankenswerter Weise drei bestens informierte Gäste die Debatte nach dem Vortrag. „Was es alles gibt!“, sagt auch Trawöger. „Was ich selbst schon alles gelernt habe! Es wird einem bewusst, was man alles nicht weiß.“

Kepler Salon

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