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06.09.2019

Hefte raus zum Diktat: In der Schule des Ungehorsams fürs Leben lernen

Im November 2017 gründete Gerhard Haderer in der Tabakfabrik eine Institution, die sich dem Denken gegen den Strich widmen sollte. „Widerstand, der nur Lärm produziert, ist zu wenig“, sagt Haderer, dessen internationale Karriere selbst das beste Beispiel liefert. „Die Schule des Ungehorsams ist eine Plattform, die Ungehorsam nicht lehrt, sondern kultiviert“, hieß es in der Projektbeschreibung.

Die "Schule des Ungehorsams": Ein Projekt von 2017 bis 2020

Ende August werden mit einem Schlag alle Jugendlichen (und auch große Teile des Lehrkörpers) melancholisch. Der Gedanke an den Schulanfang trübt ihre unbeschwerten Gemüter. Das kann man noch Jahrzehnte später mitfühlen! Bildung ist super und Schulpflicht vernünftig, und trotzdem: Die Schule, auf deren Beginn man sich reinen Herzens freuen kann, muss noch erfunden werden. Oder? Wir meinen: Nein, es gibt sie schon! Nur müsste man sie der aktuellen Bildungsministern erst schmackhaft machen. „Schule des Ungehorsams“ klingt zuerst nach zerbrochenem Rohrstab und Hausaufgaben, die der Hund gefressen hat. Konservative Lehrkräfte röcheln nach dem Riechsalz. Dabei werden gerade hier die Kunst und das gute Miteinander gelehrt.

Grau ist alle Theorie, bunt die Praxis in den zwei großzügigen Räumen mit dem eleganten denkmalgeschützen Linksdrall. In der Denkschule sollen sich Gleichgesinnte und Andersdenke austauschen, vernetzen, befruchten oder zur Not gepflegt befetzen. Die Formen des Aufeinandertreffens sind vielfältig. Da wird über Schönheit und Illegalität von Street Art diskutiert, der deutsche Cartoon-Star Ralf König präsentiert seinen fantastischen neuen Comic „Stehaufmännchen“, Expertinnen und Laien aus dem In- und Ausland denken über Gemeinwohlökonomie und offene Kunst nach, Menschen aus der Freien Szene hecken bei einem Bier neue Streiche aus, Poetry Slammerinnen reißen das Publikum vom Hocker, Literaten lassen die Hosen fallen, Gitarristen spielen Rammstein-Riffs zu Texten über gutes Benehmen.

Es muss nicht immer wild zugehen, man kann auch einfach etwas aus dem wohlsortierten Buchangebot erwerben (ganz klassisch, mit Geld und Kassenzettel). Am allerbesten ist es, die Werke Haderers genau in Augenschein zu nehmen; etliche aktuelle Cartoons werden gezeigt. Er ist aber nicht nur einer der renommiertesten Zeichner des deutschsprachigen Raumes. Die in der Schule des Ungehorsams ausgestellten Ölgemälde sind eine elementare Erfahrung - „der Linzer Caravaggio“ titelten die Oberösterreichischen Nachrichten und haben damit kaum übertrieben. In einem Gemälde stecken ungezählte Arbeitsstunden, sie sind mit Geld kaum zu bezahlen (und werden auch nicht verkauft).

Der Widerstand kann also ästhetisch sein, und Ungehorsam muss nicht weh tun, ganz im Gegenteil. Was zu beweisen war: Es gibt kaum einen offeneren, angenehmeren Ort in der Stadt als hier im Bau 1 der Tabakfabrik. Wer das Wort „niederschwellig“ für eine Phrase hält, lasse sich eines Besseren belehren. Eine Art Schulwart gibt es übrigens schon. Julia und Christoph Haderer schupfen gemeinsam mit einem kongenialen Team den Betrieb und schaffen es ganz antiautoritär, nur durch wahnsinnige Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Besucherin zum besten Betragen zu verleiten. Und was Christoph über die Arbeit seines Vaters erzählt, sollte man sich an jeder Kunstuni der Welt anrechnen lassen können.

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