VISIT LINZ
10.06.2020

Raufende Kanzler, lustige Mutanten und queere Despoten

Das Nextcomic-Festival hätte eigentlich ursprünglich Mitte März stattgefunden - dann kam Corona. Nun ist es das Festival zurück, nicht wie üblich zehn Tage lang, sondern von 20. Mai bis 30. Juni 2020 im OÖ Kulturquartier.

Ein Rundgang durch die gelungene Corona-Version des Nextcomic-Festivals

Eine Foto- und Grafik-Künstlerin zu fotografieren fühlt sich immer ein wenig vermessen an. Katharina Acht lässt die ungeschickte Prozedur freundlich über sich ergehen, bevor wir den Nextcomic-Rundgang starten. Seit drei Jahren ist sie Kuratorin des Festivals (nach dessen Gründer Gottfried Gusenbauer und Christian Wellmann). Österreichs erstes und einziges Comicfestival ist ein schönes Erbe der Linzer Kulturhauptstadt. Alles dreht sich um Comics für Erwachsene und Kinder, Graphic Novels, Graffiti, Illustration, Cartoons, Animationsfilme. Der Austausch mit anderen Sparten ist ausdrücklich erwünscht. Der Lockdown hat das Nextcomic zu einem besonders blöden Zeitpunkt erwischt. Die Ausstellungen waren Mitte März gerade erst fertig geworden, als die Sperre verhängt wurde. Nun ist es aber zurück, nicht wie üblich zehn Tage lang, sondern von 20. Mai bis 30. Juni 2020 im OÖ Kulturquartier.

Wir starten im Erdgeschoß, in der Galerie der Kunstschaffenden, vor Bildern aus Katja Klengels „Girlsplaining“, in dem sich die deutsche Künstlerin mit humanistischen Absichten und viel Humor Tabuthemen nähert. Wir sehen sie etwa in der Pose Napoleons.

Der heurige Start war eher nicht der beste in der Geschichte von „Nextcomic“, oder?

Die Eröffnung war „legendär“. Die Ausstellung war genau drei Stunden offen, bevor wir alles absagten. Aber beim Eröffnungsrundgang stehen jedes Jahr alle dicht gedrängt, und wir wollten nicht zum neuen Corona-Hotspot werden. Die Künstlerinnen und Künstler kamen alle angereist, aus Deutschland, Slowenien, die mussten gleich wieder umdrehen. So sind zumindest alle wieder heil und rechtzeitig wieder heimgekommen, niemand hat sich angesteckt. Unsere Artists in Residence haben den Shutdown mit uns mitgemacht, Katja Klengel hat das auch gleich in ihrem Instagram-Account verarbeitet. [Unter „leafvangenova“ findet man unter anderem eine witzige Hommage an die k.u.k. Hofbäckerei.]

Ein kleines Glück im Unglück.

Wir haben allen die Kosten ersetzt, aber die haben ja bis zu einem Dreiviertel Jahr an ihren Beiträgen für die Ausstellung gearbeitet, die sie dann gar nicht gesehen haben.

Jetzt können aber wenigstens wir die Ausstellung sehen.

Ja, das freut mich! Wir können alles zeigen, bis auf die Manga-Ausstellung in Traun und „Stay Gold Grafix“ im Röda. Die Gespräche, Live-Drawings, Signierstunden, das Symposion und die Nightline mussten wir natürlich absagen... aber dafür können wir den üblichen Zeitraum von zehn Festivaltagen sprengen.

Im Gang betrachten zwei junge Schülerinnen Helga Schagers aktionistische, großformatige Arbeiten. Daneben die Bilder der Ortweinschule Graz, die sich von Alfred Kubin inspirieren haben lassen. „Die sind noch so jung, aber echt großartig!“, sagt Acht. Wir steigen hinauf in den ersten Stock und befinden beide, dass Stufensteigen mit Mundschutz eher anstrengend ist. Wir wandern vom Gewölbesaal, in dem Christine Nöstlingers „Feuerrote Friederike“ zu Ehren kommt, zum Foyer. Hier hat Michael Wittmann ohne jede Skizze seinen beeindruckenden bösen Wolf an die Wand gemalt: Rotkäppchen in der Superhelden-Version. Wir lachen über Stefanie Sargnagels garstige Cartoons. Acht zeigt auf jenen, auf dem der Kanzler und der Vizekanzler miteinander raufen: „Den habe ich mir reservieren lassen. Man kann die Exponate teilweise kaufen, und für alles eine Kaufanfrage stellen.“

Das Festival hat heuer den Untertitel „Rollenbilder 2020“. Ist der Comic immer noch die klassische Männerdomäne?

Das ist der Teilfokus heuer. Und eine Münze mit zwei Seiten – es gibt ja jene, die Comics produzieren, und jene, die sie lesen. In beiden Fällen sind Männer klar in der Mehrheit. Aber es gibt zum Beispiel Mangas speziell für Mädchen, die sind sehr beliebt. Mädchen und Buben interessieren sich zu Beginn gleich für Comics. Mit der Pubertät scheint sich das dann ganz zu verschieben, da wollen die Mädchen raus und was erleben. Zumindest war das bei mir so. [Sie lacht.] Bei der Vorbereitung ist mir selbst aufgefallen, wie sehr sich die Bildsprachen von Frauen und Männern oft unterscheiden. Darum etwa die Gegenüberstellung der Arbeiten von von Andrea Hörndler und Elias Takacs.

Sie geht weiter zu Phil Cals Arbeiten, die wiederum das Gegenteil beweisen. Wir passieren die Märchenbilder der Lohnzeichnergilde OÖ, mit denen das Nextcomic schon lange kooperiert. Besonders schön sind die „Bremer Stadtmutanten“ und der Allergen-Hinweis auf dem Knusperhäuschen. Allgemein ist deutlich zu erkennen, dass das Festival in enger Abstimmung mit anderen Institutionen steht, heimische und internationale Kräfte vernetzen möchte und den Kontakt zu allen Altersguppen sucht. Die Interaktion mit Schulen liegt zwar aktuell auf Eis, trägt aber Früchte aus der Vergangenheit, wie das Heft „Überall Gesichter!“ zeigt – wir sind nun im zweiten Obergeschoß angekommen. Auch hier sollte man auf keinen Fall durchhasten – am besten kommt man ein zweites Mal, sollte man schon etwas ermüdet sein. Oder man setzt sich einen Moment und sieht sich Agnes Kehrers liebevoll animierte Faultiere, Füchse und Chamäleons an, die in ihrem Film realen Frauenstimmen ein Gesicht geben.

Überhaupt war der Rundgang künstlerisch noch weitaus lohnender als hier nachzulesen, zu jedem Bild, zu jedem Objekt hat Katharina Acht etwas zu sagen, über alle möchte man schreiben... Deswegen die freundliche Aufforderung: selber hingehen und anschauen!

 

 

Nextcomic-Festival 2020

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