In Leipzig lässt man ihn nur schweren Herzens ziehen, in den Medien werden die Leistungen als Direktor geschätzt: Der Kulturmanager Alfred Weidinger hat die Besucherzahlen im Museum der bildenden Künste binnen dreier Jahre fast verdoppelt. Er sagt, er sei sehr glücklich in Leipzig gewesen und habe zwei Monate lang gegrübelt, nach Oberösterreich zu gehen. Zwei Monate nach seinem Amtsantritt als Leiter der neuen OÖ Landes-Kultur GmbH, dem Zusammenschluss von Landesmuseum und Kulturquartier, wirkt er aber auch in Linz schon recht zufrieden. Der promovierte Kunstgeschichtler und Archäologe ist in Schwanenstadt zur Welt gekommen und in Seewalchen aufgewachsen, von dort pendelt er nun nach Linz. Wenn Zeit bleibt, renoviert er sein Elternhaus. „Derzeit bin ich schon ein wenig von Baustellen umgeben“, sagt er, und auch das klingt nicht unzufrieden.
Kurz bevor die Museen wieder langsam ihren analogen Betrieb aufnehmen, haben wir mit ihm telefoniert.
Lieber Herr Weidinger, wie soll ich Sie ansprechen? Herr Direktor? Herr Doktor? In Deutschland hängt man ja nicht so sehr an den Titeln.
Weidinger lacht. Der Familienname reicht! Das ist tatsächlich eine Umgewöhnung. Hier ist man schon etwas fixiert...
Dann haben Sie sich nach der deutschen Direktheit an den österreichischen Konjunktiv auch wieder gewöhnen müssen, oder? Dieses „Es wär' jetzt wegen des Interviews für Visit Linz“...
Ich war zwar nur drei Jahre in Deutschland, trotzdem ist das noch ungewohnt. Aber man ist ja flexibel.
Herr Dir... Herr Weidinger, Anfang März sind Sie Ihr Amt angetreten. Was für ein Einstand! In Kurzarbeit werden Sie ja bestimmt nicht gegangen sein.
Nein! Ich bin gekommen, um das Haus neu aufzustellen, neu zu programmieren, neu zu denken; da gibt es keine Tabus. Die Corona-Phase hat das sogar erleichtert. Wir hatten ohnehin neue Formate geplant, das wurde beschleunigt. Bei Dingen, die wir in einem Jahr machen wollten, haben wir beschlossen: Machen wir's eben jetzt schon.
Was zum Beispiel?
Das mobile Museum etwa.
Also virtuell?
Nein! Das mobile Museum besteht aus sechs Containern, die wir in Seewalchen aufstellen. Darin zeigen wir ab Samstag die Ausstellung „Die geheimnisvolle Litzlbergerin“, die ja vor fast genau 400 Jahren gestorben ist, und deren Grab wir im März gefunden haben. Unsere Kunstvermittlerinnen sitzen in Linz, wir streamen sie als Hologramme in zwei der Container, sodass sich die Besucher live mit ihnen unterhalten können. Im Herbst wandert das Museum dann an den Mondsee. Es geht hier um Ausstellungen für die Menschen, die sich mit den Funden identifizieren können, nicht um Sonderausstellungen mit riesigem Werbeaufwand.
Haben Sie eigentlich schon ein Lieblingsexponat im Bestand gefunden, oder stelle ich mir das zu romantisch vor?
Die Frage wurde mir jetzt oft gestellt. Man verabschiedet sich aber im Lauf der Zeit von dieser Liebhaberei. Mein liebstes Exponat ist immer jenes, das ich gerade im Fokus habe – derzeit das Kleid der Litzlbergerin, weil das etwas ganz Besonderes ist. Wir werden versuchen, den Stoff nachzuweben, dann untersuchen wir die Färbung und die Nähtechnik.
Braucht es den realen Anblick des Kunstwerks im Museum, oder klappt das mit der Aura auch im Internet?
Es ist schon wichtig, sich dem Kunstwerk analog zu nähern. Aber die „Aura“ ist eine philosophische Lüge! Das Kunstwerk baut das nicht auf, das gaukelt uns das Hirn vor – und das ist schön, so kommen wir doch philosophisch viel weiter! Es geht ja um die Imaginationskraft, die bei jedem anders strukturiert ist, und von daher kommt auch die Vielfalt und der Austausch darüber.
Im Museums der bildenden Künste in Leipzig waren Sie mit dem Schwerpunkt auf ostdeutscher Kunst sehr erfolgreich. Wird man davon etwas in Linz sehen?
Zu diesem Thema mache ich definitiv etwas, bestimmt zur nonkonformen Kunst. Die war eng mit dem Wiener Aktionismus verbunden. Ernst Jandl oder Arnulf Rainer kannten dort alle! Es gab weder in Westdeutschland noch in Österreich so eine hohe Dichte an Künstlern wie in der DDR, das Land war voll von Künstlern. Nur so konnte man Individualität ausleben. Künstler mussten zu einem Verband, aber das war einer der wenigen Berufe, bei denen man den Aufenthaltsort frei wählen konnte. Das war schon was. Natürlich wurden sie alle vom Staat überwacht, Arno Rink hatte bis zu zwölf IM (Spitzel, Anm. DM)! Nach der Wende wurde die ostdeutsche Kunst unter den Teppich gekehrt. Die vier bis fünf Kritiker, die das bestimmten, saßen alle im Westen. In Leipzig ist es mir gelungen, die Stasi-Akten über die Künstler als wissenschaftliche Ressource zu nutzen.
Ich glaube, zu dem Thema sollte ich bei Gelegenheit einmal ein eigenes Interview mit Ihnen führen...
Gern!
Kommenden Samstag öffnen die Museen wieder. Erwarten Sie einen Ansturm, so wie bei den Baumärkten?
Ich glaube, der Baumarkt ist wichtiger als die Kunst.
Oho!
Wir erwarten jedenfalls keine Schlangen vor der Tür. Die Leute sind noch sehr vorsichtig. Deswegen öffnen wir den Außenraum, damit sie im Spazierengehen die Kunst betrachten können. Im Innenhof zeigen wir Plastiken von Manfred Wakolbinger, übrigens seine erste Ausstellung in Oberösterreich, obwohl er von hier stammt. Hier haben wir auch fünf „Denkräume & Schreibstuben“ eingerichtet, darin können Sie in Ruhe machen, worauf Sie Lust haben – Netflix schauen, Nachdenken, Arbeiten. Das wird sehr kontemplativ.
Erzählen Sie noch von der Sommer-Ausstellung, die als Soforthilfe für Künstler dienen soll.
Wir haben schon 100 Einreichungen, die man allesamt auf unserem Blog ansehen kann. Wer einreicht, kann sich anschauen, was die anderen eingereicht haben, das ist sehr demokratisch. Daraus wählen unsere Kuratorinnen die Exponate, die wir ab 26. Juni im Schlossmuseum zeigen.
Gibt es etwas, das Sie hier an Leipzig vermissen?
Das ist eine extrem junge, dynamische Stadt. Jeder will was, jeder will weiterkommen. Deswegen wollte ich auch hier ein intensives Programm für junges Publikum machen, aber das kann ich derzeit nicht. Dieses dynamische Treiben, die jungen Menschen, das habe ich in Linz noch nicht erlebt. Aber das hat ja aktuelle Gründe.
Alfred Weidinger zeigt trotz seines vollen Terminkalenders an dieser Stelle des Interviews kein Zeichen von Ungeduld – vielmehr muss die Interviewende das Gespräch beenden, weil sie für die virtuelle Landesgalerie-Vernissage von „angesetzt / umgeschnitten“ im Kubin-Haus mit dem Künstler Gregor Graf sprechen und dabei gefilmt werden soll. Weidinger sagt „das weiß ich ja!“ und „wir sehen einander in zehn Minuten!“, denn er selbst übernimmt die Filmarbeit.
Website des Landesmuseums: www.ooelkg.at/
Einreichungen für die Sommer-Ausstellung: austausch.ooelkg.at/
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