VISIT LINZ
16.12.2021

Eine Spurensuche in Linz: Architektur, Kultur und Geschichte

Architektur prägt eine Stadt, erzählt ihre Geschichte, verändert sie, gibt ihr ein Gesicht. Hinterlässt Spuren der jeweiligen Zeit. Im neuen Architektur-Führer ist das architektonische Erbe unterschiedlicher Epochen zusammengefasst und zum Entdecken aufbereitet. Wir haben uns auf eine „Architektour“ durch Linz begeben.

„Und was machst du so?“

Ein Gebäude spricht mich bei meinem ersten Besuch Ende August in Linz persönlich an. Im wahrsten Sinn des Wortes. „Und was machst du so?“, steht groß auf der Fassade dieses außergewöhnlichen Hauses. Was ich so mache? „Linz kennenlernen“, antworte ich ihm. Das mittlerweile berühmte „Linz ist Linz“-Video hat auch mich erreicht und hergebracht. Ich lass mich durch die Stadt treiben und lande auf diesem Platz. Mit diesem Haus. Exotisch, expressionistisch, anders. Es ist das afo – das architekturforum oberösterreich, errichtet 1926 als städtische Volksküche unter dem (wie ich lerne bedeutenden) Stadtbaudirektor Curt Kühne. Und weil ich zuletzt mit Herzblut in einem Bauwerk arbeiten durfte, das mit einem europäischen Architekturpreis ausgezeichnet wurde (Kasematten Wiener Neustadt, Piranesi Award 2019), finde ich diese Fügung wieder passend. Und mich interessieren die „architektonischen Leckerbissen“, die „Linz ist Linz“ augenzwinkernd mit dem in die Jahre gekommenen „Neuen Rathaus“ (übrigens das Ergebnis eines Architekturwettbewerbs (!) Anfang der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts) anpreist. Kann man sich auch anschauen.

Menschen machen eine Stadt (aus)

Natürlich machen in erster Linie die Menschen eine Stadt aus. Der Direktor von Linz Tourismus zitiert gerne diesen Satz des weisen altgriechischen Staatsmannes Perikles. Aber was die Menschen machen, macht eine Stadt dann auch wieder aus. Architektonisch gesehen jedenfalls. Eine Architektour lohnt sich allemal und Linz überrascht – wenig überraschend - auch in diesem Genre. Mit architektonischen Ausrufezeichen vom 8. Jahrhundert über alle Epochen bis ins Heute, ins 3. Jahrtausend. Bausünden inklusive.

Neuer Architekturführer ist Wegweiser und Wissensvermittler

Der neu aufgelegte Stadtplan „Linz verändert Architektur“, erhältlich in der Tourist Information im Alten Rathaus am Hauptplatz (selbst auch im Architekturführer vermerkt), ist bei der Spurensuche Hilfe, Inspiration, Wegweiser und Wissensvermittler gleichermaßen und im Freien nur bei Wind schwer zu lesen. Drei Architekturrunden werden vorgeschlagen, jede für sich ist spannend:
Neue Architektur. Klangvolle Bauform. Radtour Baukunst des Wissens. 
 

Linz will stellenweise hoch hinaus

Für mich als Wiener Neustädter, der mit dem Zug anreist (für alle mitlesenden Wienerinnen und Wiener: von Wien Meidling ist man in einer Stunde in Linz!), bietet sich erstere an, „Neue Architektur“, schließlich startet sie im Bahnhofsviertel, rund um den Bahnhof, der von 2005 bis 2011 jedes Jahr „schönster Bahnhof Österreichs“ war. Zeitgenössische Architektur, moderne Hochhäuser, nicht wie Shanghai, aber auch eine Art Skyline, etwa mit dem Terminal-Tower und dem Lux-Tower. Schickes Wohnen, stylische Büros, coole Lokale, überraschend Plätze, die zum Verweilen einladen. Ein Abstecher zum Wissensturm lohnt sich (auch wegen der Inhalte), ehe ich das Musiktheater am Volksgarten ansteuere. Drinnen hatten wir bei unserem ersten Linz-Besuch als Familie mit dem Musical-Hit „Wie im Himmel“ schon ein berührendes Kultur-Erlebnis, verstärkt natürlich, weil die Gesangslehrerin meiner Kinder im Stück eine Rolle spielt. Das Bauwerk selbst, mächtig, auch von außen ein echter Klangkörper, nehme ich auf dieser Tour erst wahr – es nimmt den Platz am Volksgarten richtiggehend ein. Ich erinnere mich ans Musical: Nicht nur der Große Saal, auch alle anderen Bereiche – Foyer, Garderoben, Gastronomie – tragen dazu bei, sich in dem Gebäude wohlzufühlen. Und gerne wieder zu kommen. Ein Meisterwerk. Außen und innen.

Architektur der 30er-Jahre ist omnipräsent

„Neue Architektur“ – und ich lande, wie so oft in Linz, in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ja, weil die Landesbibliothek am Schillerplatz im Jahr 2009 mit einem dem Haus höchst gerecht werdendem Zubau versehen wurde. Der Zeit von 1909 bis 1938 ist übrigens gerade eine Ausstellung im Nordico Stadtmuseum (bis 18.4.2022) gewidmet. Hingehen und anschauen: GEBAUT FÜR ALLE Curt Kühne und Julius Schulte planen das soziale Linz (1909–38) | Nordico Stadtmuseum Linz

Stefan Zweigs Fouché-Haus vs. Hitlers Brückenkopfgebäude

Ich lasse alle Seitenstraßen links und rechts liegen, Domplatz, Altstadt, OÖ Kulturquartier (allesamt im Architekturführer enthalten, allesamt eine eigene Entdeckungsreise wert), gehe zielstrebig zum Hauptplatz. Groß ist er, einer der größten umbauten Plätze Österreichs, wie ich lerne. Ich suche als erstes von der Landstraße kommend mein Lieblingshaus in Linz, inhaltlich. Hauptplatz 27: Das Freihaus Weissenwolf, in dem Joseph Fouché, Napoleons Polizeiminister, im Linzer Exil gelebt hat. Stefan Zweig widmet Linz in seiner Novelle über den außergewöhnlichen und wandlungsfähigen Politiker einige Seiten, nicht nur schmeichelhaft. 

Der Architekturführer hingegen lenkt mein Augenmerk auf die Gebäude gegenüber, auf die Brückenkopfgebäude aus der NS-Zeit, die den Hauptplatz der „Patenstadt des Führers“ zur Donau hin begrenzen. Deren geistige Väter sind verantwortlich dafür, dass Stefan Zweig emigrierte und schließlich selbst den Tod suchte. Die Fassaden der 1943, also erst nach Zweigs Tod, errichteten Gebäude sind erhalten geblieben, mit transparenten Aufbauten wie dem gläsernen Liftturm (Sieger eines Kunstwettbewerbs) mit einer neuen, offenen Anmutung versehen. Mit der Kunstuniversität ist das historisch belastete Gebäude auch innen zukunftsorientiert und mit einer bedeutenden gesellschaftlichen Aufgabe ausgestattet und zur Stadt geöffnet. Zur Thematik historisch belasteter Gebäude gibt es übrigens aktuell ein lesenswertes Interview vom 9.11.2021 in der Wiener Zeitung mit Karin Harrasser, Vizerektorin ebendieser Uni -  wenn Sie möchten, lesen Sie es hier: (1) NS-Regime - Was tun mit NS-kontaminierten Bauten? - Wiener Zeitung Online

An der schönen blauen Donau zeitlos in die Zukunft

Mein Linz-Moment: Die Donau, mit Lentos und Ars Electronica Center gegenüber. Eine Stadt, wie keine andere. Einzigartig in der Nacht. Das Lentos – bereits 2003 von Züricher Architekten der Donau ans Ufer gestellt, eine zeitlose Schönheit. Außen wie innen, sowohl Sammlung als auch Sonderausstellungen (aktuell besonders „Female Sensibility“, nur noch bis 9.1.2022). Und ein Illy-Espresso auf der Terrasse des Lentos-Café-Restaurant mit Blick über Donau und Pöstlingberg lässt unmittelbar Urlaubsstimmung auf- und in Linz ankommen. Auch Essen kann man hier ziemlich gut.

Tabakfabrik: Rauchverbot gilt nicht für kluge Köpfe

So gehe ich dann die Donau entlang, über den „walk of fem“ (ja, Linz hat seinen bedeutenden Frauen 2021 prominent Platz eingeräumt), lasse das Brucknerhaus (Baujahr 1974) für die Tour „Klangvolle Bauform“ rechts liegen, überlege mir, was ich von den Skulpturen des „forum metall“ (viele stehen auch seit den 70er Jahren im Donaupark) halten soll – schließlich gefallen sie mir dann doch – und visiere die Tabakfabrik als nächstes Ziel an. DAMES prangt groß in alten Lettern auf der mächtigen Front der Tabakfabrik, als ich von der Donaulände auf das 30er-Jahre-Architektur-Juwel zusteuere. Dames habe ich nicht geraucht - Rote Gauloises oder selbstgedrehte Golden Virginia waren die Tschik meiner Wahl. Im Dezember 2008, vor 13 Jahren, habe ich meine letzte Zigarette ausgedämpft. Ganz spontan, in einem Hotelzimmer in Krakau, obwohl ich gerade erst ganz billig zwei Stangen polnische Zigaretten gekauft hatte. Von 40 und mehr pro Tag auf 0, von heute auf morgen. Trotzdem habe ich grade da, in der Tabakfabrik, wieder Lust, eine zu rauchen. Ich fass es nicht. Ein Zigarettenautomat bietet mir Winston, Lucky Strike oder Camel an. Rote Gauloises und Dames hat er nicht. Nicht nur deshalb lasse ich es bleiben. 


Die Tabakfabrik steht mittlerweile für Kunst, Kultur und Innovation. Rauchende Köpfe statt glimmender Stengel. Das ist im Inneren des großzügigen Gebäudekomplexes trotz (oder wegen?) der vielen Bauarbeiten gegenwärtig. Vielleicht auch, weil hier die „Kultur einer Reparatur, Bauen im Bestand, etwas Neues anfangen, ohne Wurzeln zu kappen“, wie Architekt Andreas Hentner von TP3-Architekten (von ihnen stammt auch der Lichtbrunnen in der Linzer Altstadt) seine Vorstellung guter Architektur bei der Präsentation des Architekturführers beschrieb, zur Maxime erhoben scheint. Ich hole mir ganz profan eine Pizza, der Teig ist mit Aktivkohle versetzt. Macht die Pizza angeblich verträglicher, also „gesünder“. Macht nichts, schwarzer Teig ist cool, und die Pizza schmeckt trotzdem hervorragend. Oder deshalb? Ich weiß es wieder nicht. Ab nächstem Jahr wird das originale Linzer Bier dazu auch gleich ums Eck in der Tabakfabrik gebraut. Da freu nicht nur ich mich drauf.

Über die Eisenbahnbrücke ohne Eisenbahn

Schweren Herzens verlasse ich das Areal der Tabakfabrik, überquere die Donau auf der neuen Eisenbahnbrücke (über die nur Autos und Radfahrer fahren und Menschen gehen, auch ein echter Hingucker, und von dort bietet sich ein schöner Blick auf Linz) und spaziere auf der Urfahraner Seite zum Ars Electronica Center. 1996 errichtet und für die Kulturhauptstadt 2009 ins jetzige Design transformiert, gibt es innen wie außen eine Ahnung, wie unsere Zukunft aussehen kann. Und wie Technologien und Künstliche Intelligenz unser Leben verändern, beeinflussen, bestimmen. Die Stufen auf dem Platz davor laden zum Bleiben im Hier und Jetzt. Ebenso die Stadtpfarrkirche Urfahr daneben, dem Hl. Josef geweiht, auch Grüner Anker Jugendkirche. Sie steht nicht im Führer. Passt aber zu Linz, mit der Kunstinstallation „Rutsche ins Leben“ und der Regenbogenfahne über der Kirchentüre. 

Zum letzten Punkt der Runde – der in seiner Vielfalt eigentlich ein eigener Punkt sein könnte – brauche ich die Straßenbahn. Mit der Linie 1 fahre ich rund 20 Minuten zur JKU, der Johannes Kepler Universität, benannt nach dem großen Sohn dieser Stadt. Der seit 1966 architektonisch und inhaltlich stetig weiterentwickelte Campus (Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen!) ist urbaner Lebensraum, pulsierendes Zentrum für rund 20.000 Studierende und Impulsgeber für Wirtschaft und Gesellschaft und entwickelt und verändert diese. Aus Linz. Denn Linz verändert.

Häuser mit Geschichte(n): Eine Architektour können Sie buchen!

Eine echte Architektour können Sie übrigens bei Linz Tourismus buchen. Architektour – Häuser mit Geschichte(n). Drei Tage in Linz, mit Linzer Stararchitekten, dem Chef des Architekturforums Oberösterreich, mit Einblick hinter die Kulissen der echten architektonischen Leckerbissen von Linz – alle Infos hier: Architektour » Linz Tourismus

Ein Gastbeitrag von Josef Kleinrath

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