VISIT LINZ
23.10.2019

Original Linzer Worte: Die Versöhnung von Literatur, Abenteuer und Doofheit

Literatur, die mit derselben Andacht hinzunehmen ist wie ein Gottesdienst – das muss man mögen. Genauso wie Literatur, bei der Feuer gespuckt wird, die Vortragenden zu Boxkämpfen auffordern oder bei der dem Publikum unmögliches Glumpert angedreht wird. Wenn Sie mich fragen, liegt die Wahrheit nicht in der Mitte, sondern eher auf der Seite von Flamme, Kampf und Gerümpel.

Die Einladung, ein Selbstporträt über den allerschönsten Teil meines beruflichen Fleckerlteppichs verfassen zu dürfen, erhöht meine Freude an der Erwerbsarbeit. Vor recht exakt zehn Jahren schrieb ich einem Quartett lieber Menschen, ob man nicht gemeinsam „etwas Gutes für die Stahlstadt ausbrüten“ wolle. Ich war gerade von einem Berlin-Urlaub nach Hause gekommen, wo ich mich in die Präsentationsform „Lesebühne“ verknallt hatte. Die Antworten fielen dergestalt aus, dass wir aktuell das erste Jahrzehnt der Lesebühne „Original Linzer Worte“ feiern.

Der allerschönste Teil ist das monatliche Leseereignis, weil uns schon die Vorbereitung Freude macht. Wenn Klaus „Professor“ Buttinger, René „Ingenieur“ Monet und ich, „Präsidentin“ Meindl, eine neue Ausgabe der Lesebühne vorbereiten, kommt immer mehr heraus, als uns alleine eingefallen wäre. Nicht jeder skurrile Einfall schafft es auf die Bühne, zum Glück!, das Publikum hat sich jedoch noch nie beschwert, dass das tatsächlich Aufgeführte zu vergrübelt, zu dezent oder zu schüchtern ausgefallen wäre. Siehe Feuerspucken, Raufhandel und Tombola des Grauens. Letzteres ist eine Idee des Gründungsmitgliedes Anna Weidenholzer. Sie hatte im September 2009 vorgeschlagen, billige Lose statt Eintrittskarten zu verkaufen, die Keller unserer Elternhäuser seien ja voller Zivilisationsmüll. Ich hege den Verdacht, dass diese Anhäufung an „Preisen“ die heimliche Hauptattraktion der „Original Linzer Worte“ darstellt. Jeder hofft, dass der Kelch des dümmsten Preises an einem vorüber gehen möge, jeder lacht, wenn das jahrzehntealte slowakische Riesenlebkuchenhaus, die Chrysler-Schneeketten oder das Buch über Inzest und Katzenhaarpflege an den Nachbarn geht.

Sollte dank des Klimawandels in 100 Jahren die Donau trocken fallen, werden sich Archäologinnen wundern, welchem Kult die Linzerinnen im frühen 21. Jahrhundert hier an der Donaupromenade gehuldigt haben. Es ist in diesen Jahren nämlich mehr als einmal vorgekommen, dass „glückliche Gewinner“ beim spätnächtlichen Tanz nach der Lesebühne unglücklich „stolperten“ und die grauenhaften Sachpreise in hohem Bogen über die Reling flogen.

Das Salonschiff Fräulein Florentine ist sehr eng mit unserem Kunstwollen verbunden, schon alleine, weil diese schwimmende Oase einer der besten Orte der Stadt ist und man uns hier liebevoll betreut. Freilich werden wir sentimental, wenn wir an die schönen Jahre im „Grandhotel zum Rothen Krebsen“ zurückdenken, dem Vorgänger der Florentine am anderen Ufer. Hier bot die Bühnensituation noch mehr Möglichkeiten, sich unmöglich aufzuführen und das Publikum mit neuen Verkleidungen und Regieeinfällen zu überraschen. Oder zu erschrecken, wie bei der Stichflamme, die Ingenieur Monet zum Thema „Zirkus“ produzierte. Dass er diesen Stunt einstudiert hatte, wussten auch wir vom Ensemble nicht, feuerpolizeilich war die Aktion ohnehin jenseits von Gut und Böse.

Aber! Genau das ist eben die Lesebühne. Ein bisschen Abenteuer muss schon dabei sein! Wir wissen selbst nie, was passieren wird. Ob der Professor wieder, Kunstblut spuckend, versterben wird oder zu einer entspannenden Fantasiereise mit dem Titel „Banküberfall“ lädt. Ob mich Anna Weidenholzer – in eine geblümte Gardine gehüllt – feierlich zur Frau nimmt, oder als Gämse verkleidet den „Wildschütz“ in die Sprache des Diskurstanzes übersetzt. Ob Ingenieur Monet Glühbirnen isst, auf einem selbstgebastelten Instrument Lieder improvisiert oder im Duett mit seiner Gattin Karin mit echter Arien-Hochkultur erstaunt. Wir wissen auch nie, was unser jeweiliger Gast vorträgt; ob sie kurz vor der Veranstaltung abhauen (einmal) oder die Zuhörerinnen zu spontanen Liebesgeständnissen verführen (öfter).

Fix ist nur das Thema. Mittlerweile haben wir die wichtigsten Aspekte des Universums abgedeckt, von der Religion über den Tod bis zur Volksdroge Alkohol. Es ist ein sehr stimmiges Detail, dass wir von der Brauerei Schlägl gesponsort werden (zu einem großen Teil in Form von Naturalien). Der Biergenuss ist ein integraler Bestandteil unserer Darbietung, daran ist unsere Haltung gegenüber der klassischen Wasserglaslesung wohl am besten zu ersehen. Im nächsten Jahr findet unsere 100. Lesebühne statt, vielleicht auf der Florentine, vielleicht in der Schule des Ungehorsams, in der wir uns naturgemäß auch sehr wohlfühlen, vielleicht im großen Saal des Musiktheaters (Scherz!).

Fakt ist, dass wir nichts ohne unser Publikum wären. Während wir immer älter und alberner werden, strahlt es uns nun seit zehn Jahren schon in frischer Jugendlichkeit, mütterlicher Zuneigung und wachsender Anzahl an.

Infos zur Lesebühne

„Original Linzer Worte“ sind die welterste Lesebühne von Linz, die dienstälteste Lesebühne Österreichs. Ein Satirekombinat aus dem Industrieidyll. Vom Härtegrad her irgendwo zwischen Linzer Torte und LD-Stahl. Ein guter Kompromiss zwischen Grottenbahnfahrt und einer Altstadtschlägerei. Nachhaltiger als die Kulturhauptstadt und dreimillionenmal billiger.

Das Personal: Professor Buttinger erklärt generell die Welt und der Welt den Krieg. Ingenieur Monet sperrt böse Leute in den Keller und bohrt Zahnärzten Löcher in den Schneidezahn. Präsidentin Meindl schwankt in ihrer Leitung zwischen Mutter und Dschinghis Khan.

Die vorgetragenen Texte enthalten alle Buchstaben des Alphabets und unsere drei liebsten Gattungsarten (Drama, Lyrik, Prosa). Zusätzlich gewähren exklusive Tagebucheinträge intimste Blicke hinter die Kulissen der OLW (Betriebsausflüge in die Besamungsstation, misslungene Auftritte in brennenden Altersheimen, Urlaub auf Kreisverkehrsinseln). Die hauseigene „Blutgruppe“ bietet Liedgut dar. Heimlicher Höhepunkt ist die Tombola des Grauens.

Literatur ist das nicht, Poetry Slam schon lange nicht mehr, Performance nur deswegen nicht, weil das Publikum höchstens unabsichtlich angespuckt wird. Es ist, was es ist – also meistens ziemlich lustig.

Eine Dokumentation sämtlicher Lesebühnen in Wort und Bild findet sich auf http://linzerworte.blogspot.com

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