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10.01.2020

Frostschutz: Die Schneekönigin

Trotz Klimawandel wird Hans Christian Andersens Die Schneekönigin seine Gültigkeit nicht verlieren: Die Freude über das Eis, wenn es schmilzt, nachdem es das Herz hat erkalten lassen, die Liebe, die die Erstarrung in Bewegung auflöst und die unerwünschte Kälte vertreibt.

Wenn Kay in Andersens Märchen am Ende erkennt: „Wie kalt und schrecklich leer es hier ist!“, dann spricht er von einer Zeit, die er unlebendig und in einem Zustand des Nicht-Spüren-Könnens zubrachte, ohne Verbindung zu Gerda, ohne Verbindung zur Welt.

Als Theaterstück für Kinder ab sechs hatte es am 10. November 2019 am Landestheater Linz in der Sparte Junges Theater Premiere und ist dort noch bis Ende April 2020 zu sehen. Und anders als bei Andersen (kleines Wortspiel!), fehlt es in der Bearbeitung für die Bühne, die sich in der Stationen-Reise sehr dicht an ihrer Vorlage orientiert, nicht an Witz und Modernität.

Und nicht an Wärme.

Das liegt zum einen am beweglichen Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler, das von Ilja van den Bosch choreografiert wurde, zum anderen an der ebenso bewegenden Musik von Nebojša Krulanović, und natürlich an der bewegten Inszenierung (im Sinne von Erleben, Denken, Handeln) von Nele Neitzke, die seit Beginn der Saison 2016/2017 die Leitung des Jungen Theaters innehält. Erstarrung räumt hier den Platz für eine durchgängige Lebendigkeit, die niemandem niemals nie verloren gehen sollte.

Theater stellt Fragen, und da Fragenstellen stets eine gute Idee zu sein scheint, machte ich ein Experiment, bevor ich die Vorstellung besuchte: Ich beauftragte meine Tochter, mir aufzuschreiben, was sie die Schneekönigin fragen würde, wenn sie ihr gegenüberstünde. Folgende Fragen haben mich erreicht:

  1. Wie geht es dir? 2. Bist du verliebt? 3. Was isst du am liebsten?

Und dann das (Weihnachts-)wunder: Das Stück behandelt diese Fragen tatsächlich (abgesehen vom Essen), denn auch für das Wohlergehen von Schneeköniginnen gilt als Gradmesser die Liebe: Sie bleibt der Schlüssel ins Innere der Herzen, die wiederum bekanntlich die Schlüssel für das allgemeine Befinden sind.

Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Statt die Schneekönigin, die für kein Interview zur Verfügung steht, befrage ich anschließend Nele Neitzke in ihrem Palast des Kinder- und Jugendtheaters, die der Schneekönigin von Andersen neue Sympathie entgegengebracht hat (natürlich erst, nachdem Kay aus ihren Fängen befreit worden ist) und beginne mit Frage 1:

Wie geht es dir?

Gut. Manchmal sogar sehr und ausnehmend gut. Ich darf das tun, was ich liebe. Mit Menschen zusammen, die das auch lieben. Für ein Publikum, das hoffentlich hier und da ebenfalls das lieben lernt, was wir lieben. Großartig!

Die Schneekönigin spielt im Winter. Ihr Auftritt beschert den ersten Frost. Du kommst aus Norddeutschland - freust du dich auf einen „richtigen“ Winter, wie er in Linz und Umgebung noch zu finden ist?

Ich hoffe sehr auf eine weiße Zeit – ich mag das, wenn im Neuschnee alles knirscht und glitzert, wenn noch keine Spuren die weiße Decke bemustert haben und jeder Schritt der erste im Neuland ist. Hoffe aber auch immer, dass die von den Schulen zum Vorstellungsbesuch gewählten Verkehrsmittel dem Schnee standhalten und einigermaßen pünktlich bei uns anlanden …

Cocteau schrieb über den Film, er sei kein Traum, den man erzählt, sondern ein Traum, den wir dank einer Art von Hypnose zusammen träumen. Gilt das ebenso für ein Theatererlebnis? Was zeichnet für dich ein gelungenen Theaterabend aus?

Bei uns im Jungen Theater ist es ja häufig der Theatervor- oder nachmittag statt des Abends. Und da liebe ich es besonders, dass man dem Trubel des Tages für eine gemessene Zeit entfliehen kann. Dass sich Welten öffnen, die es dort draußen in der Realität so nicht oder doch zumindest nur anders gibt. Dass man die Erlebnisse aus dieser Theaterwelt aber mit in seinen Alltag nehmen kann und so den Blick offenhält und den Blickpunkt wechseln kann. Da knüpft sich dann der Traumgedanke an – als etwas, das mit der Realität verbunden ist, aber vielleicht nur lose. Und ich liebe Schauspieler. Menschen, denen es gelingt, solche Räume aufzumachen. Die als Spiegel, Gegenüber, erweitertes Ich mich mitnehmen in ihre Welten. 

Du verbringst viel Zeit im Theater - wo sind die Plätze in der Stadt, die du aufsuchst, wenn du dir frei gibst?

Ich bin gern unterwegs, und wenn es nur kleine Gänge sind. Menschen sehen, Stimmungen spüren. Ich bin auch gern für mich zuhause. Lesend, Filme schauend. Und wenn es mal ein längerer „Ausgang“ ist, besuche ich meinen Mann, der andernorts lebt und arbeitet. 

Und noch eine letzte Frage: Was isst du am liebsten? (denn diese Frage erscheint irgendwie wichtig und steht an Stelle 3)

Das sehe ich absolut auch so. Und die Antwort ist: quer durch den Geschmacksgarten. Gutes asiatisches Essen neben gutbürgerlicher Küche, Pizza, Lasagne (aber nur selbstgemacht). Und ich liebe das muto in Linz sehr, die einen mit nur einem Menü durch spannendste Geschmackswelten führen.

Vielen Dank für die Antworten.

Frage 2, die für die Schneekönigin vorgesehen gewesen wäre, spare ich aus, denn die geht uns nichts an und ­– beantwortet sich dennoch. Und – bewegt uns doch alle (ebenso wie alle Herzen). Und deshalb besuchen wir – zum Beispiel das Theater.

Am Ende steht: „Die kalte, leere Herrlichkeit bei der Schneekönigin hatten sie gleich einem schweren Traum vergessen.“

Beim Aufwachen aus dem Traum, in dem das Publikum für die Dauer des Stücks gefangen war, außerhalb der Welt, bleibt die Atmosphäre der Inszenierung, die jedes Kind und jeden Erwachsenen mit warmem Gefühl in den frostigen Winternachmittag entlässt, und deshalb auch nicht dem Vergessen anheimzufallen braucht.

Seien wir fortan achtsam, dass uns kein Spiegelsplitter ins Herz trifft, und wenn es doch einmal geschehen sollte, dann hoffen wir, dass allen von uns eine persönliche Gerda beiseite steht, und die Schneekönigin am Ende das Lieben erlernen wird.

Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen

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